Noch bis Ende Juli läuft im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam die Ausstellung „uni-form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß“. Ich habe der Kuratorin, Dr. Daniela Döring, einige Fragen zur eigenen Person und zu dieser Ausstellung gestellt.
Würden Sie mir kurz Ihre Ausbildung und Ihren Werdegang schildern?
Ich habe Kulturwissenschaft, Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universidad Sevilla studiert und bereits während des Studiums im Stadtmuseum Berlin als Assistentin des Abteilungsdirektors für Geschichte gearbeitet. Ich erhielt dann ein Stipendium am Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ an der Humboldt-Universität zu Berlin und promovierte über die Vermessung des menschlichen Körpers im 19. Jahrhundert (in Proportion, Statistik und Konfektion). Nach meiner Dissertation wechselte ich in den akademischen Bereich zunächst an das Braunschweiger Gender Zentrum und dann an den Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft der Universität/Fachhochschule Potsdam. Aktuell realisiere ich am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin gemeinsam mit Hannah Fitsch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Gender Technik Museum“, das sich der Analyse von Geschlechterbildern in technischen Museen widmet und Strategien für eine gendergerechte und reflexive Museumspraxis entwickelt.
Sie haben viel zu Gender-Fragen geforscht und veröffentlicht. Warum liegt Ihnen dieses Thema am Herzen?
Wenn ich mich als Kulturwissenschaftlerin für mediale, kulturelle und soziale Gefüge interessiere, komme ich kaum um die Geschlechterordnung herum. Als zentrale Kategorie strukturiert sie – in Überkreuzung mit weiteren Differenzkategorien wie Schicht/Klasse, Ethnie, Sexualität, etc. – maßgeblich Gesellschaft. Vorstellungen von Normen und Normalitäten, Idealen und Abweichungen, Identitäten, Grenzen und Wahrheiten werden dabei immer wieder neu definiert und verhandelt. Historisch betrachtet sind viele Ungleichheiten und Differenzen variabel, vielfältig und dabei doch erstaunlich hartnäckig, sie reformulieren sich in immer neuen Konstellationen, oftmals sind sie nicht auf den ersten Blick erkennbar, sondern eingelagert in Ökonomien, Technologien, Symboliken und Alltagskulturen. An diesen Debatten mitzuarbeiten, heißt für mich, den Macht- und Herrschaftsstrukturen nicht einfach ausgeliefert zu sein, sondern sie mitgestalten, kritisieren und verändern zu können.
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Die Publikationen aus der Zeitschrift „FKW//Geschlechterforschung und visuelle Kultur“ ist unter diesem Link online verfügbar.
Was sind Ihre derzeitigen Forschungsschwerpunkte?
Momentan erforsche ich im Rahmen eines BMBF-Projektes Geschlechterbilder in Technikmuseen. Die großen Meisterzählungen dort werden meist vom männlichen Erfinder, Entdecker und Genie getragen, während Frauen als unbenannte Hintergrundfiguren, Ehefrauen, Musen und Allegorien auftauchen. Diese Geschichte könnte auch anders erzählt werden, nämlich als eine der historischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten und nicht als museale Wahrheit: so und nicht anders ist es gewesen! Meine Beschäftigung mit sozialen Ungleichheiten im Museum ist zum Einen stark verwoben mit gendertheoretischen und postkolonialen Studien zu Ein- und Ausschlüssen, Definitionsmacht und Sprechakten, zum zweiten mit der feministischen Kritik an der vermeintlichen Objektivität der Natur- und Technikwissenschaften und zum dritten mit einem Interesse an medialen Strukturen des Ausmessens, Inventarisierens, Ausstellens, Anordnens, Rasterns – wie und welches Wissen entsteht dabei?
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Sie sind Kuratorin der Ausstellung „uni-form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß“. Könnten Sie Ihr Konzept für diese Ausstellung beschreiben?
Die Ausstellung „uni-form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß“ widmet sich einer Geschichte der Vermessung des Körpers im Zusammenhang mit der seriellen Bekleidungsproduktion. Will man Kleidung für die Masse herstellen, so müssen viele Körper vermessen, zergliedert, Daten ermittelt, Durchschnitte berechnet und universelle Größensysteme erfunden werden. Wir erzählen die Geschichte vom Schneiderhandwerk, über die ersten Mustergrößen für die preußische Armee im 18. Jahrhundert, der Entstehung der Konfektion bis hin zu statistischen Reihenmessungen und den gegenwärtigen digitalen Mess- und Scanverfahren. Die vielfältigen und immer wieder neu auszulotenden Größensysteme zeigen, dass das universelle Maß bis heute nicht gefunden worden ist. Die Technologie verspricht hingegen genau dieses passende Maß und wird immer weiterentwickelt, wendet aber die Welt keineswegs zum Besseren. Im Gegenteil: hinter dem Fortschrittsgedanken verbergen sich ungleiche, gegenwärtig globale Anordnungen und Ökonomien, die es gerade in der Textil- und Modeindustrie in den letzten Jahren zu erschreckendem Ruhm gebracht haben. Für das Individuum wird das umfassende Maßnehmen des eigenen Körpers immer unsichtbarer und selbstverständlicher. In ständiger Kontrolle mit großen Datensätzen vermessen wir uns selbst, optimieren, regulieren und vergleichen mit Normen, Idealen und Standards. Nicht nur der bekleidete Körper, sondern auch die Arbeit wird standardisiert und normiert im Takt der Maschinen.
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Was war ausschlaggebend für die Auswahl der Exponate und der Künstlerinnen?
In der Ausstellung finden sich klassische Exponate – wie die Schneiderelle, Büsten, Messgeräte, konfektionierte Kleidung, Tabellen und Modelle –, Rekonstruktionen von nicht erhaltenen historischen Maß-und Schnittsystemen und insgesamt acht künstlerische Interventionen. Diese Kombination war uns sehr wichtig, um keine geschlossene, lineare Kulturgeschichte zu vermitteln. So gibt es in der Geschichte viele Lücken, Brüche und Zufälligkeiten und auch die Entstehung von Normen und Standards ist immer wieder flankiert von dem Widerständigen, dem Unpassendem. So stehen gerade die künstlerischen Arbeiten für mich als Kritik oder Replik auf die Norm, sie zeigen exemplarisch kunstvolle und emanzipative Techniken des Zuschnitts (Kati Gausmann), die Unmöglichkeit der totalitären Erfassung der menschlichen Identität im Raster (Anke Dessin), die globalen Arbeitsverhältnisse (Helena Waldmann, Susanne Friedel), die digitale Ökonomisierung des menschlichen Körpers (Hannah Fitsch und Alba D‘Urbano) und die Automatisierung der High-Tech-Verfahren in der Textilforschung (Anette Rose). Die Künstlerinnen haben sich der großen Herausforderung gestellt, ihre Arbeit nicht im white cube auszustellen, sondern in den Kontext. Für jede Arbeit haben wir einen eigenen Ort sowie Art und Weise der Präsentation gefunden und sie entwickeln so ganz neue, spannende Konstellationen und eine hohe Reflexivität.
Das Besondere an der Ausstellung ist jedoch nicht nur diese Exponatauswahl, sondern der Ausstellungsraum selbst. Die Architektur wurde im Rahmen eines Studienprojektes am Masterstudiengang „Bühnenbild_Szenischer Raum“ der TU Berlin entwickelt und realisiert. Dieser ganz engen und produktiven Kooperation zwischen Kuratierung und Gestaltung ist es zu verdanken, dass die szenische Erzählung genau jene Thesen im Raum ausbuchstabiert: es gibt Kabinette, die eigene Räume im Raum bilden, von Vitrinen und Sichtfenstern durchbrochen werden, Nischen und immer neue Blickachsen bilden. Die Themen werden so zwar chronologisch erzählt, aber immer wieder aufgebrochen und in Verbindung gebracht, mit künstlerischen Projektionen flankiert. Herzstück der Ausstellung ist eine gläserne Umkleidekabine, in der die Besucher_innen ein historisches Maßsystem aus dem 19. Jahrhundert ausprobieren sowie mit Maßband und Tabellen ermitteln können, welche Größe sie in den 1960er Jahren hatten – sie werden über dieses Vermessen des eigenen Körpers unversehens selbst zum Ausstellungsexponat.
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Was möchten Sie beim Publikum erreichen bzw. auslösen?
Wir beginnen die Ausstellung mit Fragen, die auf lupenähnlichen Scheiben prangen, dahinter Körperfragmente aus Gips. Auf diese Fragen – was ist ein Datenkörper? / Bist du vermessen? oder Wie entsteht ein Maßstab? etc. – liefert die Ausstellung natürlich keine Antworten. Vielmehr will sie zum Nachdenken anregen, neue Fragen aufwerfen und im besten Fall darüber debattieren, was das Vermessen und Fragmentieren mit dem individuellen Körper, mit Vorstellungen von Arbeit und mit globalen Ordnungen macht. Dabei möchte ich durchaus ein gewisses Unbehagen hervorrufen, aber gleichzeitig auch die Lust an der Auseinandersetzung.
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Hier noch einmal alle Angaben zur Ausstellung:
Sonderausstellung „uni-form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß“
Laufzeit: 15.4.-24.7.2016; Adresse: Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Kutschstall, Am Neuen Markt 9, 14467 Potsdam; Öffnungszeiten: Di bis Do 10–17 Uhr, Fr 10–19 Uhr, Sa/So und feiertags 10–18 Uhr, Mo geschlossen; weitere Infos: http://www.hbpg.de/Ausstellung_Uni-Form.html