Mit der Abbildung eines sorgfältig gearbeiteten und zweifellos einst hoch geschätzten Kleidungsstückes zieht das Cover dieses Bandes die Blicke auf sich. Zu sehen ist ein Ausschnitt vom Rückenteil eines Spenzers, einer eng anliegenden Damen-Jacke, die im frühen 19. Jahrhundert sehr beliebt war. Das historische Textil befindet sich im Bestand der Städtischen Museen in Zittau.
Es ist eines von zahlreichen Exponaten Oberlausitzer Bekleidungen, die sich in den Sammlungen des Museums Bautzen sowie in einer ganzen Reihe weiterer Museen und in privater Hand befinden und die im Mittelpunkt der Arbeit der Textilrestauratorin Ulrike Telek standen. Die Ergebnisse der jahrelangen Recherchen konnte die Öffentlichkeit bereits in der Ausstellung „Seide, Samt und feiner Zwirn. Oberlausitzer Bekleidung des 19. Jahrhunderts“ (4. November 2017 bis 25. Februar 2018 im Museum Bautzen) kennen lernen.
Aus der Idee, der interessierten Leserschaft die Erkenntnisse der Forschungen sowie anhand von Abbildungen den Reichtum der Sammlungen vor Augen zu führen, entwickelte sich das Konzept eines Bandes, der weit über die Form eines Ausstellungskataloges hinausgeht. Unter dem Titel „Seide, Samt und feiner Zwirn. Oberlausitzer Bekleidung zwischen 1800 und 1870“ wurde von Ulrike Telek eine bemerkendwerte Arbeit vorgelegt.
Der vorliegende Band ist in der Tat „eine wahre Schatztruhe“, wie Katja Margarethe Mieth treffend vorausschickt. Textilkundige, Wissenschaftler und in Museen tätige Fachleute finden mit diesem Band einen auf breiter Quellenbasis erstellten Katalog Oberlausitzer Kleidung für Frauen, Männer und Kinder nebst Hauben und Knöpfen, Schuhen und Schürzen vor. Darüber hinaus werden Erkenntnisse über technologische Fertigungsmethoden, sozialhistorische Aspekte, kulturhistorische Kontextualisierungen bis hin zu Glossar und Literaturverzeichnis geboten, die den Band für das Fachpublikum zu einem Standardwerk machen werden.
Dabei ist der Band zweigeteilt. Im ersten Teil mit dem Titel „Kulturwissenschaftliche Perspektiven“ präsentieren die Autorinnen Andrea Geldmacher, Anja Mede-Schelenz, Ines Keller und Ulrike Telek eine Einordnung und Einführung in die kulturwissenschaftliche Kleiderforschung im Allgemeinen wie die historischen Bedingungen und Verhältnisse in der Oberlausitz im Besonderen. Sie beleuchten dabei den gegenwärtigen Stand der Kleidungsforschung, die einstige Sammlungsstrategie des Vereins für Sächsische Volkskunde und die historische Kleidung der sorbischen Bevölkerung.
Der zweite Teil umfasst den Katalog, der nach einer textil- und zeitspezifischen Systematisierung die Sammlungsbestände ordnet, analysiert und quellenkritisch erschließt. Ulrike Telek erforscht eingehend Schnittformen, Gebrauchsspuren, Reparaturen sowie modische Anpassungen. Spezifische Themenfelder, etwa zur Kleidung der Herrnhuter Brüdergemeinde, dem Kopfputz der Damen, den Schnürsenkeln der Herren, zur Schürze als Arbeitsbekleidung und als Zierde oder zur Kinderkleidung, widmet sich die Autorin in einzelnen Aufsätzen. Die Vielfalt der textiltechnologischen Details präsentiert sie in Form von „Tableaus“.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Publikation mustergültig aufgebaut ist und in hervorragender Weise den stilistisch-technologisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich bedingten Wandel der Oberlausitzer Bekleidung akzentuiert und ordnet sowie anhand neuer Forschungserkenntnisse analysiert. Die jahrzehntelangen Recherchen und akribischen Untersuchungen der Textilrestauratorin Ulrike Telek sind in einzigartiger Form zusammengefasst und der zukünftigen Forschung zugänglich gemacht worden. Die reichhaltigen Illustrationen präsentieren die vorhandenen Objekte ebenso wie Arbeitsskizzen und Rekonstruktionen. Darüber hinaus werden durch eine umfangreiche Auswahl an Zeichnungen, Gemälden, Lithographien und Fotografien künstlerische Details hervorgehoben und Lebenswirklichkeiten verdeutlicht. Der Band erweist sich als ein Handbuch, das weit über textilhistorische Zusammenhänge hinausgeht, und wird mit Sicherheit Anregungen und Forschungsthesen bieten für das breite Interesse an Textilkunde und Kleidungsforschung als spannenden Arbeitsfeldern, die gesellschaftlich-soziale, identitätsstiftende wie technologisch-ästhetische Dimension von Kleidung umfassen.
Ulrike Telek
Seide, Samt und feiner Zwirn
Oberlausitzer Bekleidung zwischen 1800 und 1870
Herausgegeben von Andrea Geldmacher, Katja Margarethe Mieth und Jürgen Vollbrecht
Museum Bautzen und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden –
Sächsische Landesstelle für Museumswesen
Sächsische Museen – fundus, Bd. 9
448 Seiten, 502 Farb- und 74 SW-Abbildungen
ISBN 978-3-7319-1061-9
Michael Imhoff Verlag
https://www.imhofverlag.de/buecher/seide-samt-und-feiner-zwirn/