Erste Fotografien und frühe bewegte Bildaufnahmen zeigen die Welt in Schwarz-Weiß. Dabei war diese Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts alles andere als trist und grau. Denn obwohl der Engländer William Henry Perkin versucht hatte, aus Anilin Chinin zu synthetisieren, um es als Medikament gegen Malaria zu nutzen, entdeckte er eher per Zufall 1856 einen leuchtenden Farbstoff. Inspiriert von der Farbe der Malvenblüten gab er ihr den Namen Mauveïn. Von nun an wurde die Welt mit weiteren Entdeckungen und Entwicklungen anderer Farbstoffe immer bunter, strahlender, leuchtender. Ein Farbenrausch erfasste die Gesellschaft, der zu explosionsartigem Anstieg von bunten Kleidern auf der Straße, den Salons und Ballsälen führte und dramatisch die Codes der Gesellschaft veränderte.
Während die Menschen Jahrhunderte lang mit pflanzlichen und tierischen Stoffen färbten, und die Verarbeitung von Farbpigmenten Wissen und Erfahrung bestimmter Berufsgruppen erforderte, so war mit dem Aufstieg der synthetischen Farben ein immenser Innovationsschub und der Ausbau ganzer Industrien und neuer Handelsbeziehungen verbunden. Auch wenn die ersten Farben dieser Art oft noch Giftstoffe enthielten und kaum lichtecht waren, sollten sie die Mode bald verändern. Dazu trugen nicht zuletzt Queen Victoria und die französische Kaiserin Eugenie bei. Schließlich trug Queen Victoria 1858 auf Empfehlung der Kaiserin ein violettes Samtkleid zur Hochzeit ihrer Tochter Vicky. Das löste Länder übergreifend einen regelrechten Hype aus, sodass zwischen 1859-1861 in England und Frankreich eine „Mauve Mania“ ausbrach. Wobei die Farbe auch als „queen’s lilac“ benannt wurde.
All das, was mit diesen Veränderungen von Farbe in der Gesellschaft zwischen 1850 und 1930 verknüpft ist, wurde im Forschungsprojekt „Weltbunt“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, mit unterschiedlichen Forschungsansätzen analysiert und kritisch eingeordnet. Die seit September 2019 im Deutschen Textilmuseum Krefeld gezeigte Ausstellung „Zeitkolorit – Mode und Chemie im Farbenrausch“ präsentiert Ergebnisse dieser Forschungen, die Chemie, Wirtschafts- und Kunstgeschichte, Kostümforschung, Textilwissenschaften – und -restaurierung miteinander vereinen. Inzwischen ist die Ausstellung bis Karfreitag, 10. April 2020, verlängert worden. Etwa 50 Kleider und Accessoires aus der Sammlung des Deutschen Textilmuseums Krefeld versinnbildlichen in chronologischer Reihenfolge die genannte Entwicklung.
Parallel zur Ausstellung erschien ein Begleitband, der die unterschiedlichen Facetten der Ausstellung aufgreift und durch zahlreiche Beiträge von Fachleuten diese neue Welt voller Farbe, Chemie und Mode erkundet. Dabei verbinden die Autorinnen und Autoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des „Weltbunt“-Projektes ihre spezifischen Kenntnisse und Forschungen immer wieder mit Fragen und Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. In der so präsentierten Chronologie der Farbchemie zeigen sich die unterschiedlichen Facetten der gefärbten Textilien, der synthetischen Färbesubstanzen sowie die soziologischen Aspekte von Mode und Kleidung, wobei deren Entwicklung ebenso wie Erkenntnisse über Alterung und Haltbarkeit von Textilfärbungen über Sammlungsgeschichte, Bestimmungsmethoden bis hin zu gesundheitlichen Blickwinkeln oder Risiken von Farbstoffen betrachtet werden. Manches, was uns heute vertraut, anderes, was uns nicht mehr bekannt ist, wird wie in einem Puzzle zusammengesetzt, das nun ein sehr spannendes und erhellendes Bild der Moderne ergibt. Es ist äußerst anregend, beim Durchblättern des Katalogs, sich der Spannung zwischen Tradition und Moderne, in der sich Farbe und Mode in der erlebten Welt bewegen, bewusst zu werden. Gestalterisch wartet dieser Ausstellungsband dabei nicht allein mit zahlreichen illustrierenden Abbildungen von Kleidungsstücken, Chemikalien und Instrumenten auf, sondern setzt ins Auge fallende Akzente. So wurden beispielsweise die Beiträge über „Mauveïn“, den „Militärmantel in Grün-Feldgrau“ oder den „Federfächer“ (sowie einige andere) auf farblich zum Inhalt passendem Papier gedruckt. Das vergegenwärtig Leserinnen und Lesern auf anziehende Art die Bedeutung und Wirkung der Farbtöne. Dass diese Beschäftigung mit etwas, das wir als Alltäglichkeit wahrnehmen in der Tat inspirierend und lehrreich ist, zeigt einmal mehr, wie sehr Farbe unser Unterbewusstsein bestimmt. Folgen Sie dem Farbzauber dieses Bandes ganz im Geiste von Walter Gropius, der einst sagte: „Bunt ist meine Lieblingsfarbe“.
Zeitkolorit: Mode und Chemie im Farbenrausch
Annette Paetz gen. Schieck und Isa Fleischmann-Heck (Hgg.)
ISBN 9783961761005
144 Seiten
Verlag Nünnerich-Asmus
Die Ausstellung Zeitkolorit im Deutschen Textilmuseum Krefeld wurde bis zum 10. April 2020 verlängert