In einem ehemaligen Fabrikgebäude in Kreuzberg, der Bumiller Collection, werden noch bis zum 3. Dezember 43 geknüpfte Teppiche und 13 gewebte Kelims aus dem 18. und 19. Jahrhundert aus der umfangreichen Sammlung von Martin Posth gezeigt. Seit 35 Jahren sammelt er. Die textilen Kunstwerke werden prachtvoll ausgeleuchtet auf Platten präsentiert, die schräg an die Wand gelehnt oder auf dem Boden platziert sind. Ein solche ausgezeichnete Präsentation würde ich mancher Quilt-Ausstellung wünschen. Zur Ausstellung ist ein sehr schöner Katalog erschienen, der in der Ausstellung erworben werden kann.
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Der Sammler Martin Posth selbst fand liebenswürdiger Weise viel Zeit für mich und erzählte, wie er zum Sammeln kam.
„Das war mehr oder weniger ein Zufall. Ich habe in Istanbul einen Großonkel gehabt, der Bankier in Istanbul war und als Bankier schon aus Kairo kam, im Jahre 1911/1912 oder so und sein Leben lang Bankier geblieben ist. Bis zu seinem Lebensende hat er mit wenigen Unterbrechungen in Istanbul gelebt. … Er war sozusagen der Senior der deutschen Kolonie. Als mein Bruder und ich Abitur machten, wir sind ein gutes Jahr auseinander, hat dieser Großonkel gefragt, was wollt ihr denn mal machen. Als wir sagten, na ja, wissen wir noch nicht, meinte er, dann kommt doch mal nach Istanbul. Das war Anfang der 60er Jahre, da ging noch kein Flugzeug und wir sind dann 3 Tage mit dem Orient-Express zu meinem Onkel gefahren. Dort haben wir uns beraten und mein Bruder sagte, er studiert Jura. Ich sagte, ich studiere auch Jura. Dann hat er uns jedes Jahr nach Istanbul eingeladen. Wir haben eine sehr intensive Beziehung zu ihm, zur Türkei und zu Istanbul entwickelt. Im Jahr 1978, kurz vor Weihnachten, starb mein Großonkel und ich wurde sein Testamentsvollstrecker. Er hat in seinem Leben alle möglichen Antiquitäten gesammelt, u.a. auch Textilien, obwohl er davon gar nichts verstand. Er hat die immer irgendwo gekriegt oder gekauft vielleicht. Sie erinnern sich, 1980 war der große Putsch in der Türkei, mein Onkel hatte die doppelte Staatsangehörigkeit. Klar war eines, in dem Moment, wo die Behörden davon Wind bekommen, dass er tot ist, greifen die aufs Vermögen und insbesondere auf die Antiquitäten zu.“
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Deswegen habe ich seinerzeit in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit einem Freund, einem Industriellen aus Österreich, die antiken Sachen aus der Wohnung geräumt und wir haben versucht, sie so gut wie möglich auf dem Basar zu verkaufen.
Und so kam ich zwangsläufig mit Teppichen in Verbindung und daraus ergab sich dann plötzlich die Erkenntnis, dass das etwas sehr Schönes ist. Einen Teppich hat der Teppichhändler entgegen meiner Anweisung nicht versteigert. Das war kein türkischer, sondern ein turkmenischer Teppich. Als ich dann wieder nach Istanbul kam, weil noch so viele Dinge zu regeln waren, hat er mich gefragt, ob ich ein bisschen Zeit hätte. Darauf bat er mich, den Teppich von der Seite anzusehen und dann von der anderen.“
Der Teppichhändler wies ihn darauf hin, dass die Farben ganz anders aussehen, abhängig davon, aus welcher Richtung das Licht fällt.
„Im Übrigen hatte ich einen solchen turkmenischen Teppich, der mit Seide geknüpft war, in meinem Leben noch nie gesehen. Er hatte mir damals eine Anzahlung von 10 000 DM auf den Nachlass gegeben. Er sagte, ich bitte dich, dieses Stück nicht zu verkaufen. So behielt ich diesen Teppich, kaufte mir ein Buch und suchte diesen turkmenischen Teppich im Buch. Ich fand ein Vergleichsstück, man sucht ja Vergleichsstücke. Dann sagte er, ich werfe jetzt mal 30 Teppiche hier hin und sag mir mal, welcher Teppich dir am Besten gefällt. Die Händler machen das ja so, die werfen die hin und wenn alle durch sind, dann zurück und dann der noch mal. Dann bleiben drei übrig. Dann habe ich einen ausgesucht, der liegt hier bzw. da hinten und habe gesagt, den würde ich nehmen. Darauf sagte er, wie kannst du das wissen, das ist wirklich von allen der schönste Teppich. Darauf sagte ich, dass ich das nicht weiß, sondern dass mir das mein Auge sagt. Darauf sagte er, da hast du aber ein verdammt gutes Auge.“
So hat also alles angefangen. Als ich frage, wie viele Teppiche die Sammlung heute umfasst, meint er, das wisse er gar nicht so genau. Es seien sicher etwa 150 türkische Teppiche.
Martin Posth weiß zu allen ausgestellten Teppichen Interessantes zu erzählen. Er weist mich zum Beispiel auf das so genannte Abrasch hin.
„Sie sehen diese Streifen hier, Abrasch heißt Wolke sozusagen und kommt aus dem Persischen. Die Streifen entstehen, wenn der Knüpferin die Wolle ausgegangen ist, sie hat aber nicht genau dieselbe, also nimmt sie etwas aus einem anderen Topf mit Wolle und dann findet sie doch noch mal was von der alten und so entstehen diese verschiedenen Farbnuancierungen, was einen Teppich oder Kelim eher wertvoll macht.“
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Auf vielen der ausgestellten Teppiche sind so genannte Gebetsnischen zu sehen, manches Mal sind sogar die Stellen angedeutet, an denen die Knie und die Hände zu platzieren sind.
Martin Posth erzählt: „Dieser Mucur-Saf ist aus Zentralanatolien. Da sind Gebetsnischen zu sehen, deshalb hat man gesagt, dass sind reine Gebetsteppiche, wo Familienangehörige miteinander gebetet haben. Hier ist noch die Besonderheit, dass Nische in Nische zu sehen ist. Sie sehen, dort [bei diesen anderen Teppichen] gibt es immer nur eine Nische, aber hier gibt es eine Doppelnische. Und dann gibt es oben, auch das ist hier ungewöhnlich, eine quer gelegte Wasserkanne, die sie daran erinnern soll, sich vor dem Gebet zu waschen. … Was auch sehr ungewöhnlich ist, bei dieser Art von Teppichen mit Gebetsnischen nebeneinander sind es meistens oder fast immer ungerade Zahlen von Nischen. Und dieser hier hat eine gerade Zahl von Nischen.“
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„Das war mein erstes Stück, welches ich selbst ausgesucht habe – ein Gelveri aus Zentralanatolien. Das ist ungewöhnlich, weil in der Gegend gar keine Gebetsteppiche mit solchen Gebetsnischen, sondern Läufer gemacht worden sind. Er ist aus Mohairwolle von der Mohairziege – einer ganz weiche Wolle.“
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„Das ist ein Stufengebetsteppich, ein Sivrihisar, mit 7 Gebetsnischen, die nicht nebeneinander, sondern übereinander angeordnet sind. Ein typisches Kelimmuster. Es gibt ein Büchlein mit etwa 1000 Elementen. Es gibt signifikante Muster und weniger signifikante.“
Eines der bekanntesten Symbole ist „Hände in den Hüften“. Dies ist ein Symbol der Frau und ihrer Fruchtbarkeit. In den Kelim gewebt, kann dies den Kinderwunsch der Weberin ausdrücken. Mit etwas Fantasie kann man es hier am Rand des Teppichs entdecken.
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„Dies ist ein Konya-Inlice. Das Muster ist das kennzeichnende Element der Teppiche aus dieser Region. Aber wunderbar ist diese hier doch symmetrisch hineinpassende Gebetsnische und die sich darüber ausbreitende Struktur und dann oben wahrscheinlich Tulpen.“
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Der folgende Teppich ist mein absolutes Lieblingsstück in der Ausstellung, er hat prachtvoll leuchtende Farben und ist reich geschmückt.
„Der Teppich ist ganz ungewöhnlich, er ist mit Sicherheit nicht zum Beten gemacht worden, er ist viel zu groß. Was auch ungewöhnlich ist, normalerweise haben die Ladiks Tulpen nach oben und nach unten. Aber hier laufen sie nur nach oben und dann sind da noch halbe Tulpen und eine unglaubliche Vielzahl an Sternen, Wasserkannen, Blumenmuster, Granatäpfel usw.“
Als ich bei näherem Hinsehen festelle, dass dieser geknüpfte Teppich kaum Flor hat, erläutert Martin Posth: „Viele haben keinen Flor, weil sie zu alt sind. Weil er sich entweder abnutzt oder erodiert.“
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„Es gibt ein Vergleichsstück, das hier vor geraumer Zeit versteigert worden ist, bei Rippon Boswell, das ist eines der Versteigerungshäuser, die wir haben. Da hat dann der Auktionator gesagt, dass der Teppich aus Marokko kommt. Warum? In der Tat gab es im Osmanischen Reich einen regen Verkehr nach Marokko. Und man hat in Marokko schon einen so ähnlichen Teppich finden können. Aber wenn man genau hinsieht, dann weiß man, dass man in Marokko niemals so eng geknüpft hat. Marokko knüpft relativ grob. Und auch die Muster sind grob. Es wird umgekehrt sein, damals durch den Verkehr von Anatolien nach Marokko eine Musterverschleppung nach Marokko stattgefunden hat. Da hat einer dann so einen Teppich gehabt und hat ihn nachgeknüpft. Darüber kann man lange streiten. Der, von dem wir den Teppich haben, der hatte ihn schon ewig in seiner Familie und wohnt in Westanatolien und ich persönlich glaube auch, es gibt viele Anzeichen dafür, dass er in Westanatolien gemacht worden ist. Auf jeden Fall farblich unglaublich gut.“
Das nächste Stück ist ein Aydin und ein Lieblingsstück des Sammlers.
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„Dieses Stück ist für mich eines der Schönsten, denn es beinhaltet alles an Farben, was man sich vorstellen kann. Ein sauberer Lebensbaum in der Mitte, der unten aus der Vase entspringt und dann oben zu Ende ist. Und in der Mitte des Lebensbaumes entweichen die Zweige und da sieht man graue Elemente, das sind Silberdrähte, die da eingewebt worden sind. Sehr selten so etwas.“
Zu guter Letzt noch ein so genannter Köhlerteppich. Martin Posth erläutert:
„Hier handelt es sich um einen Kömürcü-Kula, einen Köhlerteppich. Köhler haben in ihren Hütten Teppiche in dunklen Farben mit reichen Blütenmotiven geknüpft. Aus einer Vase entspringt ein Lebensbaum mit blauen Ästen, die viele Blüten tragen. Ein sechstrahliger Stern über dem Lebensbaum lässt darauf schließen, dass es sich um einen armenischen Entwurf handelt.“
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Ich danke Martin Posth herzlich für die spannende und informative Führung! Ich kann mir nur wünschen, dass bis zum 3. Dezember noch viele Besucher den Weg in die Ausstellung finden.
The Bumiller Collection
Naunynstraße 68
10997 Berlin
Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag: 14 – 18 Uhr
Gewebtes Paradies
Foto im Titel: Detail eines Kelims aus Bayburt-Saf oder Sivas-Saf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts